Je einfacher eine umwälzende Idee ist, desto schwieriger scheint es, sie zu begreifen. Schüßlers geniale Idee bestand darin, zu erforschen, was denn eigentlich die anorganischen Mineralien im menschlichen Stoffwechsel tun. Organische Chemie besteht aus den Elementen Stickstoff, Sauerstoff, Kohlenstoff und Wasserstoff. Aber heute wissen wir auch, dass ein Leben aus diesen Stoffen allein nicht möglich ist, dass eine Vielzahl anorganischer Elemente die chemischen Umsetzungen dieser vier Stoffe steuert und erst ermöglicht. Die Chemie des Lebens, die Bio-Chemie, ist das kunstvolle ineinander Greifen von steten Auflösungen und neu Eingehen elementarer Verbindungen.
Dr. Wilhelm Heinrich Schüßler war einer der ersten, die versucht haben, dieses geheimnisvolle Zusammenspiel aufzuschlüsseln, in eine Ordnung zu bringen, herauszufinden, welche Elemente denn was bewirken, und welche Krankheiten entstehen, wenn eines dieser lebensnotwendigen Elemente fehlt. Der von ihm geprägte Begriff „Biochemie“ ist mittlerweile in den medizinischen Sprachgebrauch eingegangen und steht für jene Wissenschaft, die genau das nachvollzieht, was Schüßler begonnen hat: die Erforschung des Zellstoffwechsels. Nur: leider ist den modernen Biochemikern der Name Schüßler aus dem Gedächtnis gekommen. Wir aber brauchen nicht verschämt immer wieder zu betonen, dass es neben der naturwissenschaftlichen Schulrichtung Biochemie noch so ein etwas zu kurz gekommenes Kind „Schüßlers Biochemie“ gibt. Jene tun genau das, was unser Ziehvater wollte: sie erforschen, wer wann wo wie was in unserem Stoffwechselgeschehen tut.
Die Reihe der anorganischen Salze, die Schüßler als lebensnotwendig für alle Funktionen herausfand und darum Funktionsmittel nannte, entspricht sehr genau dem, was die moderne Medizin als essenzielle, sprich unersetzliche, Mineralien bezeichnet. Es sind die Elemente Calcium, Kalium, Magnesium, Natrium, Eisen und Silicium in Verbindung mit den Anionen Phosphor, Schwefel und Chlor, im Ausnahmefall bei der Nummer eins auch mit Fluor. Schüßler war ein exzellenter Beobachter. Wenn auch seine Erklärungsversuche für Zusammenhänge heutigen Erkenntnissen nicht immer standhalten, die Ergebnisse und die Schlussfolgerungen, die er zog, waren ausnahmslos richtig. Es ist faszinierend zu beobachten, wie moderne naturwissenschaftliche Forschungsergebnisse mit arger Verspätung bestätigen, was Wilhelm Heinrich Schüßler vor mehr als 130 Jahren beschrieb.
Hans-Heinrich Jörgensen (1933-2014)
Früherer Vorsitzender und später Ehrenvorsitzender des Biochemischen Gesundheitsvereins Oldenburg e.V.